[full article and abstract in Lithuanian; abstract in German]
In dem vorliegenden Beitrag setzt sich der Verfasser mit der noch wenig erforschten Frage des Verhält-nisses zwischen Übersetzung und Etymologie auseinander. Als Beispiel für Verdeutlichung und Illustrie-rung der hier vorgestellten Überlegungen wird eine bekannte Stelle aus dem alttestamentarischen Buch Genesis (2, 23) herangezogen, und zwar diejenige, an der Adam der ersten Frau ihren Name gibt. Beim Übersetzen dieser Stelle ist der Gebrauch eines „etymologischen Modells“ nach dem Prinzip der etymo-logischen Wahrheit aufspürbar.
Die Übersetzungen der in Rede stehenden Stelle werden zunächst in zahlreichen Sprachen sowohl der Antike – Hebräisch; Altgriechisch in den Fassungen der Septuaginta, Theodosians und Symmachus’; Lateinisch in den Fassungen der Vetus latina sowie der Vulgata des heiligen Hieronymus – als auch der Moderne angeführt. Unter den letzteren werden bis auf einige Ausnahmen die älteren Fassungen aus dem jeweiligen Sprachbereich bevorzugt. Jedes Sprachzeugnis wird philologisch-linguistisch kurz analysiert und kommentiert.
Die im einzelnen berücksichtigten „moderneren“ Übersetzungen der Bibel sind die folgenden: für die germanische Sprachgruppe die mittelenglische Übersetzung von John Wycliff (1382) und spätere englische Übersetzungen (authorized King James’ version, John Nelson Darby, Douay-Rheims und sog. Young’s literal translation); die deutsche Bibel Martin Luthers (1545); die isländische Bibel von Guð-brandur Þorláksson (1584); für die romanische Sprachgruppe mittelalterliche französiche Übersetzungen wie die von Macé de la Charité, Evrat und auch anonyme Übersetzungen bis einschließlich Louis-Isaac Lemaistre de Sacy (XVII Jh.); italienische Übersetzungen der Bibel von Antonio Brùcioli (1532) und von Giovanni Diodati (1607); die kastilische Reina-Valera Bibel (1602); João Ferreira Annes d’Almeidas portugiesische Bibel (XVII. Jh.); die Montserrato-Fassung der katalanischen Bibel (1970); für die slavi-sche Sprachengruppe die Bibel von F. Skoryna; die tschechische Bible svatá (1613); die polnische Biblia Gdańska (1632); für die baltische Sprachengruppe: die altlitauischen Bibel von J. Bretke (1590) sowie die von B. Chylinskis und J. Quandt (1755); die altlettische Bibel von E. Glück (1684); für die ugro-finnische Sprachengruppe die erste estnische Bibel (1739), eine zeitgenössische finnische Übersetzung (1965); die kalvinistische (1590) und die katholische (1973) Bibel in ungarischer Sprache.
Bei der Wiedergabe der uns interessierenden Bibelstelle lassen sich hauptsächlich drei Überset-zungsverfahren unterscheiden, und zwar die folgenden: (a) Ablehnung des „etymologischen Modells“, so vor allem in den Übersetzungen aus jüngerer Zeit; (b) partielle Annahme des „etymologischen Mo-dells“ zusammen mit unterschiedlichen Kompensationsverfahren bei der Übersetzung; (c) Annahme des „etymologischen Modells“, oft verknüpft mit ad hoc geschaffenen Neologismen. Jedes dieser drei bei der Übersetzung von Gen 2, 23 angewandten Verfahren wird ausführlich dargestellt und analysiert. Dabei zeigt sich, dass sich in den Bezeichnungen der ersten Frau Merkmale ausmachen lassen, die eher für Na-men als für Appellativa typisch sind.
Eine Vergleichung mit dem Bibelübersetzungverfahren in Ländern, die in unserer Gegenwart evangelisiert werden, durchgeführt am Beispiel der Sprache Kikongo in der Republik Kongo und in Angola, fördert weiter zutage, wie sehr man sich von dem „etymologischen Modell“ nach dem Prinzip der etymologischen Wahrheit entfernt hat.
Schließlich werden Erwägungen dazu angestellt, ob und eventuell aus welchen Gründen sich die Etymologie beim Übersetzen als Ballast erweisen kann. Unter dieser Perspektive möchte der Autor Etymologie innerhalb des semantischen sprachlichen Anisomorphismus ansehen. Die Etymologie könn-te sogar als Maß (als sogenannter „ontoglottischer Koefficient“) für die Bestimmung des Unterschieds zwischen Sprachen angesehen werden.