Nesvyžius /Nieswiez/, der alte Stammsitz der Fürsten Radziwil, war im 17. Jahrhundert das eine der wichtigsten Zentren des kulturellen und politischen Lebens in Litauen. Der politische Einfluss und die Überheblichkeit des Magnatenhauses Radziwil hatte in der Mitte des 17. Jhdts. in Litauen ihren Höhepunkt erreicht. In der kultturellen Welt war Nesvyžius damals nicht nur wegen des prächtigen und herrlichen Schlosses der Fürsten Radziwil gut bekannt, sondern auch wegen der wertvollen Kunstsammlungen, der Gemäldegalerie, der besonders reichen Schatzkammer, des numismatischen Kabinets und der grossen Bibliothek berühmt.
Die Anfänge dieser historischen Bibliothek reichen bis in die Mitte des 16. Jhdts., in die Zeit des Fürsten Nikolai Radziwil des Schwarzen /1515–1565/, des berühmten Gönners der Reformation und des Bildungswesens in Litauen. Er hielt auf seinem Schlosse in Nesvyžius mehrere gelehrten Kalvinisten und gründete zwei Druckereien /in Nesvyžius und in Lietuvos Brasta/ zum Drucken der protestantischen Schriften.
Die Bibliothek des Fürsten Nikolai Radziwils wurde weiter von seinem Sohne Nikolai Christophor Radziwil dem Waisen /1549–1616/ gepflegt. In seinem Besitze wurde die Bibliothek anfangs beschädigt, da er selbst zusammen mit Jesuiten mehrere von seinem Vater herausgegebene protestantische Bücher öffentlich verbrannte. Bald aber wuchs die bibliothek wieder an, vervollständigt durch die einheimische und ausländische katholische Bücher.
Nach dem Tode Nikolai Christophor Radziwils des Waisen sorgten seine vier Söhne weiter nacheinander für die Bibliothek.
Um die Mitte des 17. Jhdts. kam Nesvyžius mit allen seinen Kunstsammlungen, auch mit der Bibliothek, in die Hände des jungsten Sohnes Nikolai Christophor Radziwils, – Alexander Ludwig Radziwil. In seniem Auftrage im Jahre 1651 wurde ein Katalog der Bibliothek der Fürsten Radziwil in Nesvyžius gebildet: „Bibliotheca alias Consignatio Generalis Librorum Arcis Nesuisiensis per Clases dispositorum Jussu et Imperio Illrissmi Dvcis ac Principis Dni D.Alexandri Ludovici Radziwil, Marschalci Supremi Mag.Duc.Lit: opera vero et industria Joannis Hanowicz Infamulatoris olim et Notarii Cubicularis eius Illme Celsdinis nunc Consulis Iurati et Aedilium Publicarum Praefecti Priuilegiatae Ciuitatis Nesuisiensis confecta A:D:1651 Aprilis, Maii et Iunii Diebus“. Das original der Handschrift des Kataloges liegt in der Bibliothek des ehem. Archivs der Grafen Działyński in Kurnik, bei Posen, unter Signatur Ms.1320.
Der Katalog der Bibliothek der Fürsten Radziwil in Nesvyžius vom Jahre 1651 besteht aus vier Hauptteilen: 1. systematischer Katalog /Realkatalog/, 2. alfabetischer Katalog, 3. Katalog der Bücher in fremden Sprachen und 4. Katalog der Handschriften. In jedem Teile des Katalogs wurden nur diejenigen Bücher eingetragen, welche in anderen Teilen des Katalogs nicht erwähnt wurden.
Der systematische Katalog zerfällt in 31 Teile: 1. Biblia sacra, 5 Bände. 2. Sancti Patres, 20 Bände. 3. Interpretes SS.Scripturae, 17 Bände. 4. Rituales, 11 Bände. 5. Dogmatici, 12 Bände. 6. Controversistae, – die Literatur der Religionspolemik, 39 Bände. 7. Jura et decreta, 35 Bände. 8. Historiae eccolesiasticae, 43 Bände. 9. Politici, 27 Bände. 10. Historiae Regni Poloniae et Magni Ducatus Lithuaniae, 10 Bände. 11. Historiae profanae, 110 Bände. 12.Militares, 7 Bände. 13. Imagines variae, – geographische Werke, – 26 Bände. 14. Mathematici, 18 Bände. 15. Medici, 8 Bände. 16. Philophici, 9 Bände. 17. Epistolici, 6 Bände. 18. Scholastici, 18 Bände. 19. Oratores, 23 Bände. 20. Poetae, 40 Bände. 21. De variis materiis, 8 Bände. 22. Variarum linguarum, 100 Bände. 23. Polonici, 59 Bände. 24. Germanici, 7 Bände. 25. Sclavonici, 8 Bände. 26. Prohibiti, 15 Bände. 27. Polnische Handschriften, 10 Bände. 28. Lateinische Handschriften, 7 Bände. 29. Italienische Handschriften, 6 Bände. 30. Deutsche Handschriften, 3 Bände und 31. Kartographische und Stichsammlungen, 80 Stück.
Von den 787 Bänden, meistens Folianten, welche in den systematischen Katalog eingetragen waren, den grössten Teil der Bibliothek bilden die Bücher verschiedenen Inhalts /189 Bände/. Dazu müssen noch 26 Handschriften zugerechnet werden. An zweiter Stelle stehen die Werke aus der Geschichte /163 Bände/, an dritter – Geographie /124 Bände/, an vierter – Theologie /104 Bände/; dann folgen Philologie /81 Bände/, Rechtswissenschaft /62 Bände/, Philosophie /23 Bände/, Medizin /8 Bände/ und Kriegswissenschaft /7 Bände/. Daraus sieht man, dass die Inhaber der Bibliothek, – die Fürsten Radziwil, – welche viel im Auslande zu reisen pflegten, das grösste Gewicht auf die Bücher des geschichtlichen und geographischen Inhalts legten. Sie interessierten sich auch für Theologie, Philosophie und Rechtswissenschaften, denn Kenntnisse aus allen diesen Gebieten brauchten sie für das alltägliche Leben.
Im alfabetischen Teile des Katalogs der Bibliothek der Fürsten Radziwil in Nesvyžius vom Jahre 1651 finden wir noch 456 Bände in folio, in quarto und in octavo. Das Übergewicht an der Zahl nehmen auch hier die Bücher des klassischen Altertums, der Geschichte und der Geographie.
Im Kataloge der Bücher in fremden Sprachen finden wir 86 Bände. Hier sind jedoch die fremdsprachigen Bücher aus dem systematischen Teile des Katalogs nicht eingetragen.
Der Handschriftenkatalog besitzt nur 9 Handschriften. Eigenlich befanden sich in der Bibliothek mehr, denn noch 26 von ihnen waren ins systematische Katalog eingetragen.
Der Sprache nach bildeten die lateinischen Bücher die überwiegende Mehrheit. An der zweiten Stelle standen die Bücher in italienischer Sprache /141 Bände/, an der dritten – die Bücher in polnischer Sprache, an der vierten –
die Bücher in französischer Sprache /33 Bände/, dann kamen die Bücher in deutscher /17 Bände/, russischer /8 Bände/, spanischer /1 Band/ und englischer /1 Band/ Sprachen. Der Grund der einen so grossen Menge der italienischen Bücher liegt darin, dass die Fürsten Radziwil von Nesvyžius, die Vertreter des katholischen Zweiges des Magnetenhauses Radziwil, welche meistens eifrige Katholiken waren, die Vorliebe nach Italien zu reisen hatten und von dort die eingekauften italienischen Bücher nach Nesvyžius mitbrachten. Auf ihren Auslandsreisen vermieden sie gewöhnlich das protestantische Deutschland zu besuchen. Deshalb finden wir nur so wenig von deutschen Büchern in ihrer Bibliothek /dieselben sind nur des katholischen Inhalts/.
Im Jahre 1651 in der Bibliothek der Fürsten Radziwil in Nesvyžius befanden sich insgesammt 1.338 Bände. Die Bücher waren meist im schönen farbigen Leder gebunden.
Im Vergleich mit anderen damaligen Privatbibliotheken war die Bibliothek der Fürsten Radziwil in Nesvyžius die zweitgrösste Bibliothek in Litauen. Die grösste Privatbibliothek, bestehend aus mehr als 3.000 Bände, besass der litauische Vizekanzler Kasimir Leo Sapiega in Rožėnai in der Mitte des 17. Jhdts. /im Jahre 1655 wurde sie von ihm der Wilnaer Akademie geschenkt/.
Die Bibliothek der Fürsten Radziwil in Nesvyžius wuchs auch später immer an. Im 18. Jhdt. sorgte besonders um sie Franziska Urschul Radziwil, geb. Wisniowiecka, die Frau des litauischen Feldherrn Michael Kasimir Radziwils. Damals erreichte die Bibliothek ihren Höhepunkt und bestand aus 20.000 Bänden. Nach der ersten Teilung Litauens, im Jahre 1772 wurde diese grosse Bibliothek der Fürsten Radziwil, welche sich 200-jähriger Geschichte rühmen konnte, vom russischen General Bibikow aus Nesvyžius nach Petersburg verschleppt. Hier wurde sie unbarmherzig auseinandergerissen und an verschiedene russische wissenschaftliche Anstalten zerteilt. Das Ausbeuten dieser historischen Bibliothek verrichtete einen uneinschätzbaren und unersätzlichen Schaden für
das kulturelle leben Litauens.